Inhalt Nr.2/2005

 

Liebe Leserinnen und Leser,


zweitausend Jahre sind vergangen, seit der große römische Dichter Publius Ovidius Naso die Worte, die das Titelblatt zieren, geschrieben hat. (Für Interessierte: Es sind Auszüge aus seinen Metamorphosen). Zwei Jahrtausende, wert nachzudenken, wie weit haben wir es gebracht?
Bleiben wir in der Gegenwart. Es ist Sommer, viele zieht es in den Süden, wo das vom Dichter zitierte Obst an den Zweigen wartet. Auch in bislang eher als nicht so fortschrittlich betrachteten Ländern weitet sich das Angebot an Vegetarischem. In Kroatien beispielsweise führen u.a. größere Billa-Filialen ein beachtliches Sortiment an fleischlosen Fertigprodukten, auch „vegetarische Wurst „Vegetariana“, ein kroatisches Erzeugnis gibt es in vielen Geschäften.
Was bringt die anima diesmal? Wir genieren uns fast schon. Keine Nummer ohne die Bitte an alle, die interessiert sind, das etwas weitergeht, als König Kunde aktiv zu sein. Die Mühe auf sich zu nehmen, dem Unternehmer zu sagen, was wir wollen. Schafwolle, das Museling (S.16) ist jetzt gerade so ein Thema. Es ist nun einmal so, es sind wir als Konsumenten, die am Hebel sitzen. Wir müssen ihn nur betätigen, und uns ein bißchen mühen, wenn er eingerostet ist. Krach wir, wie es so schön heißt, nun einmal nicht von alleine.
Die Sache Pferd läßt uns nicht los. Tierliebe junger Menschen und die Folgen, ein Thema voller Probleme.
Ein Dauerbrenner ist auch der Hunde- und Katzenfellimport, durch die fortschreitende Teilnahme Chinas am Welthandel immer aktueller. Vorbildliche Arbeit hat der Schweizer Tierschutz geleistet. Durch verdeckte Ermittler, die ihr Leben aufs Spiel setzten, konnte er Videos in China drehen. Dieses Material war so eindrucksvoll, daß es auch die Mehrheit im Schweizer Parlament überzeugte. Es gilt jetzt das Bemühen, auch die österreichischen politischen Parteien zu überzeugen, zu verstärken. Hiezu hat der IBT eine Initiative gestartet, Petitionen an das österreichische und das EU-Parlament. Eine dringende Bitte. Machen Sie von den Unter-schriftslisten im Heft Gebrauch.
Tiergärten, Zoos, Gänserndorf, Herberstein, Elefanten in Schönbrunn waren und sind im Gespräch. Bei Recherchen zur Sache Kessler (hiezu noch abschließende Worte im Heft) fanden wir, daß das Thema auch schon vor zehn Jahren aktuell war. Wir wollten Ihnen den alten Text nicht vorenthalten.
Liebe Leserinnen und Leser, wir wünschen Ihnen, hierzulande, unter den Früchten Ovids oder wo auch immer einen erholsamen Sommer.

Ihre anima-Redaktion

 

Aus dem Inhalt

Erwin Lauppert
#Königinnen ............................................ 3
Konsumentenmacht (Text weiter unten)


Christine Beidl
Zärtlich geliebte Schöpfung .................. 4

Fragen und Meinungen .......................... 6
zum Pferde
Leserbriefe ............................................ 7

Bücher .................................................. 8
Irmela Eckenbrecht, Das Wechseljahr-Kochbuch
Giorgo Agamben, Das Offene –Der Mensch und das Tier.
Büchereingang: Martin Balluch, Die Kontinuität von Bewußtsein, Regina Binder, Das österreichische Tierschutzrecht (Gesetzeskommentar),
Felix Mitterer, Superhenne Hanna gibt nicht auf


Petition Importverbot für Hunde- und Katzenfelle ............................................ 9
Unterschriftslisten hiezu ......................... 10

Elefanten ............................................. 12
fern der Heimat. Brauchen wir Zoos?

60 #Jahre
Vegane Gesellschaft in England
........... 13
Ein Interview mit Donald Watson,
ihrem Gründer (Text weiter unten)

Vitamin B12 ........................................ 14
Vegetarismus – Informationen ............ 15

Konsumenteninformation .................... 16
der Gesellschaft für humane Nutztierhaltung
Schafquälerei in Australien, Boykottaufruf

#Umstrittene Persönlichkeiten .............. 17
Peter Singer und Erich Kessler
Impressum ........................................... 20

 

Königinnen
Eine Königin, ein König, die haben es dieser Zeiten manchmal schwer, wie man in jeder Illustrierten nachlesen kann. Bekanntlich ist auch der Kunde König. Und wir Konsumentenkönige haben es natürlich auch schwer. Einst, als sie noch etwas zu reden hatten, mußten sich die großen Könige mühen, aus dem Stimmengewirr ihrer falschen und echten Berater die richtigen Entscheidungen zu filtern. Wollten sie nicht in der Flut der Ereignisse untergehen. So müssen wir heute aufpassen, von der Werberflut nicht ins falsche Eck geschwemmt zu werden.
Andrerseits haben wir es heute genau betrachtet leichter. Wie oft verlor früher, in rauheren Zeiten so ein mächtiger König nicht nur seinen wohldotierten Posten sondern gleich Kopf und Kragen dazu. Und uns Untertanen ging es, wollten wir gegen Inhumanität auftreten, häufig nicht besser. Gefängnis, Schafott, KZ waren die betrüblichen Aussichten. Kein Wunder, daß Kuschen zur lebenserhaltenden Maxime wurde.
Heutzutage ist das Gott sei Dank anders. Es gibt wenigstens einen Platz, da herrscht König Kunde noch absolut und niemand kann ihm etwas anhaben. Dieser wunderbare Ort ist der Supermarkt.
Diese Konsumentenmacht ist Ergebnis einer klaren Arbeitsteilung. Der Käufer schafft an, der Markt liefert. Für die Beistellung des gewünschten Fressens ist der Händler zuständig, für die Moral der Konsument.
Möchte der Kunde Nachtigallenzungen, wird die Handelskette Nachtigallenzungen liefern, will er Produkte aus menschen- und tiergerechter Erzeugung, solche. Haben wir ein Herz für die Menschen, die für uns die Waren herstellen, wird der Markt Fair-Trade-Produkte in die Regale schlichten. Ist es uns gleichgültig, ob Mitmenschen ausgebeutet werden, Billigprodukte aus China oder sonst aus den Sonderwirtschaftszonen in der Dritten Welt.
Sieht der Zuschauer gern Filme mit lieben herzigen Schimpansen, wird der Filmschaffende Schimpansen auf lieb züchtigen (siehe Petersen/Goodall, Von Schimpansen und Menschen), und die rührenden Filme liefern. Sieht er gern Elefanten-kunststücke, wird man ihm die Elefanten zurechtprügeln. Sind Pferderennen sein Pläsier usw.
Den Unternehmer beeindrucken weder Unterschriftenlisten noch Deklarationen sondern allein Umsatzzahlen. Es ist ihm, ob Bauer, Industrieller oder Händler daraus kein Vorwurf zu machen. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, hier gelten die harten Gesetze des freien Marktes. Nicht Gefühle binden hier die Menschen aneinander, die einzige Bindung ist die bare Zahlung.
Peter Singer, einer der Begründer der Tierrechtsbewegung, hat es auf den Punkt gebracht:
Die Leute, die Profit machen, indem sie Tiere (und dasselbe gilt für Menschen) ausbeuten, brauchen nicht unsere Zustimmung, sie brauchen unser Geld.
Nun, das ist alles nicht neu. Der Grund der langen Abhandlung ist die betrübliche Tatsache, daß auch engagierte Tierschützer nicht selten darauf vergessen, von ihrer Macht Gebrauch zu machen.
Zugegeben die Machtausübung ist mitunter etwas mühsam, weil Untertanen gern widerspenstig sind. Aber anders als die politischen Herrscher kommen wir ohne großen Polizeiapparat, Gefängnisse, Steuerfahnder aus.
Unsere Waffe ist das Wort. Wir brauchen nur zu fragen. Ist da was Tierisches drin ? Haben sie keine Keks mit Freilandeiern oder überhaupt ohne? Woher kommt die Ware? Usw. usw. Und je nachdem, „dann danke, nein“ zu sagen.
Wie wär’s ?
Erwin Lauppert

 

60 Jahre Vegane Gesellschaft in England
Ein Interview mit Donald Watson, dem Gründer der Gesellschaft


Es war ein Sonntag, voll Sonnenschein und blauem Himmel im November 1944, wie geschaffen als Geburtstag einer neuen idealistischen Bewegung: Über Initiative von Donald Watson, einem Kriegsdienstverweigerer, kamen sechs Mitglieder der englischen Vegetarian Society zusammen und beschlossen, eine neue Gesellschaft (die Vegan Society) zu gründen als Zusammenschluß von Vegetariern, die auf tierische Produkte überhaupt verzichten. Sie gaben ihr abgeleitet vom Wort vegetarian den Namen vegan. Die Abkehr vom Milchkonsum etc. war in der Vegetarischen Gesellschaft schon seit Jahrzehnten diskutiert worden, fand aber damals bei deren führenden Vertretern keine Zustimmung. Heute gibt es in Großbritannien ca. 250.000 Veganer. Watson gilt als Begründer der Vegan Society.


Im folgenden ein von G. Rodger Ende 2002 mit Watson geführtes Interview (veröffentlicht im Magazin der Gesellschaft 2003, bzw. 2004 im Magazin der Aktionsgemeinschaft gegen Tierversuche Ffm. International, Frankfurt/Main).


Watson wurde am 2. September 1910 in Mexborough in South Yorkshire, in eine „fleischessende Familie“ geboren.
Seine Kindheit hat er in Erinnerung mit Ferien, die er beim Onkel auf einer Farm verbrachte, wo er von vielen interessanten Tieren umgeben war.


Watson: Alle Tiere gaben etwas, alle wurden benutzt; das Pferd zog den Pflug, die Kuh gab Milch, die Hennen legten Eier, der Hahn war die „Weckuhr oder Alarmuhr“. Die Schafe gaben die Wolle. Ich konnte nie verstehen was die Schweine gaben – sie schienen so freundliche Tiere zu sein, freuten sich auch uns zu sehen. Dann kam der Tag, an dem eins der Schweine getötet wurde, und es gibt noch heute in mir eine lebendige Erinnerung daran und an den entsetzlichen Schrei des Schweins.
Was mich auch schockte war, daß mein Onkel beim Töten des Tieres mit dabei war. Heute sage ich, diese „Farm’s“ müßten neu bewertet werden. Nach außen die idyllische Szenerie inklusive des Onkels, dabei sind es Orte, wo die Kreatur brutal gekillt wird, wenn sie „schlachtreif“ oder für den Menschen nicht mehr von Nutzen ist.
Ich lebte 21 Jahre daheim und egal welcher Verwandte (Tanten, Onkels, Eltern, auch die Pfarrer und Lehrer) sich äußerte, man hörte niemals, daß sie den Tieren gegenüber Verpflichtungen hätten oder ihnen Achtung und Respekt entgegenbringen würden.


Herr Watson, Sie werden 92 Jahre alt. Was hat Ihnen dazu verholfen?
Watson: Der größte Fehler der Menschheit ist, daß sie sich zu Fleischessern machen, entgegen dem natürlichen Gesetz. Eines Tages werde ich nicht mehr aufwachen. Dann wird es ein Begräbnis geben, Leute werden da sein und im Geist die Tiere, die ich nie gegessen habe. Das wird eine große Beerdigung.


Wann wurden Sie zum Vegetarier?
Watson: Das war 1924 – so habe ich seit 78 Jahren weder Fleisch noch Fisch mehr gegessen.


Wie kamen Sie zur „Vegan Society“?
Watson: Wir gründeten eine demokratische Gesellschaft, bei der ich literarisch verantwortlich war, es gab viel Zuspruch. Das Wort „vegan“ wurde sofort akzeptiert und wurde Teil der Sprache und heute findet man es wohl in fast allen Sprachen.


Wie verhält sich ihr Veganismus zu irgend einem religiösen Glauben?
Watson: Ich hatte nie einen tiefen Glauben, ich war klug genug Atheist zu sein, ein Agnostiker. Einige Theologen denken Christus war ein Essener, wenn er das war, war er vegan. Wenn er heute leben würde, würde er Veganismus propagieren und das Mit-leiden verbreiten. Ich kann verstehen, daß heute mehr Veganer sich mittags zum Lunch treffen, als Anglikaner in den Sonntags – Gottesdienst gehen. Die Anglikaner sollten jubeln, daß wenigstens einige Menschen essentielle Elemente der christlichen Religion praktizieren – Mitleid und Barmherzigkeit.


Was denken Sie über „Blut-Sport“?
Watson: Das Tiere getötet werden, um an-dere Tiere des Spaßes wegen zu töten, schlägt dem Faß den Boden aus.
Ihre Meinung über Tierversuche?
Watson: Wir könnten uns fragen, wenn die-se Schlächter, diese Vivisektoren nicht existieren, könnten wir diese Dinge den Tieren antun? Wenn wir es nicht könnten, haben wir nicht das Recht von ihnen zu erwarten, daß sie dies in unserem Namen tun!

(Watson war nie in direkten Aktionen bei Tier-befreiungen verwickelt, aber:)
Watson: Ich respektiere enorm die Leute die aktiv was tun. Es ist der schnellste und direkte Weg. Wenn ich ein Versuchstier im Käfig wäre, würde ich der Person danken die da einbricht und mich herausholt.“


Haben Sie eine Botschaft an Vegetarier?
Watson: Akzeptiert, daß vegetarisch nur eine Zwischenschrift ist, zwischen Fleisch essen und Veganismus. Es mag Veganer geben, die „alles auf einen Schlag“ geschafft haben, aber ich bin sicher, für die meisten Leute ist vegetarisch der erste Abschnitt.


Welche Richtung wird die Vegane Gesellschaft in Zukunft gehen?
Watson: Ich zögere hier etwas vorzuschlagen, es ist eine Bewegung, die weltweit ver-breitet ist und sich gut entwickelt hat. Wir kennen die geistigen Fortschritte nicht, die ein Langzeit–Veganismus für das menschliche Leben haben könnte aber es würde eine andere Zivilisation sein und die erste, die wahrhaftig den Namen Zivilisation verdient!
(Die website der britischen Vegan Society: www.vegansociety.com).

 

Umstrittene Persönlichkeiten
Peter Singer und Erwin Kessler


Zur Erinnerung: Wir hatten in der Winter-nummer der anima in einer kurzen Notiz ein gegen Peter Singer gefordertes Redeverbot kritisiert und über ein Strafurteil gegen Erwin Kessler, den Schweizer VgT - Vorsitzenden berichtet und aus einem ihm gewidmeten Artikel der Schweizer Weltwoche zitiert, wer-tungsfrei. Man rügte uns deshalb. Zu beiden wäre eine ablehnende Stellungnahme angebracht gewesen. Den Rügebrief hatten wir in der letzten Nummer abgedruckt und, da uns zugleich eine zu positive Beurteilung von Darwin und Haeckel vorgeworfen wurde, dazu eine Entgegnung. Unseren Kommentar zu Sin-ger und Kessler mußten wir aus Platzgründen zurückstellen. Wir reichen ihn jetzt nach:


Vorausgeschickt sei, daß wir mit sozusagen innerbetrieblichen Kontroversen wie dieser wenig Freude haben, sie ziehen die Kräfte von unseren eigentlichen Anliegen ab, das Los der Tiere zu verbessern. Außerdem, vermute ich, sind sie Außenstehenden herzlich gleichgültig.

 

Zu Peter Singer

Peter Singer ist in der Tierrechtsszene nicht irgendwer. Der australisch/amerikanische Philosophieprofessor und Publizist, Sohn jüdischer österreichischer Eltern, die vor der NS-Mordmaschinerie nach Australien fliehen konnten – die Großeltern fielen dem Holocaust zum Opfer – gilt wenigstens im deutschen Sprachraum ob zu Recht oder Unrecht als Begründer der modernen Tierrechtsbewegung. Jedenfalls hat er mit seinem 1975 erschienen Buch animal liberation (deutsch Befreiung der Tiere, 1982) hierzulande einen Bann gebrochen.


Peter Singer zieht – sehr vereinfacht formuliert – in seinem philosophisch-utilitaristischen Gedankengebäude keine Trennlinie zwischen Mensch und Tier, unterscheidet jedoch zwischen selbstbewußten Wesen, die er Personen nennt, und bloß bewußten Wesen und verschiebt damit die allerdings nur partiell belangvolle Grenze herkömmlich formuliert teils ins Menschenreich teils ins Tierreich; viele Tiere gelangen auf die Personenseite, werdendes menschliches Leben und Neugeborene auf die andere Seite.

Er sagt – als Resümee seiner Beweisführung – in der Praktischen Ethik zum Thema Tier:
„ Es gibt also durchaus Situationen, in denen es nicht falsch ist, Tiere zu töten, aber sie sind sehr speziell und betreffen nur ganz wenige von den Milliarden Fällen, in denen Menschen Jahr für Jahr nichtmenschlichen Geschöpfen den Tod bringen.“


Das mag uns als Tierrechtler/schützer nicht genügen. Der großen Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist es viel zu viel, sie ignoriert schlicht sein Plädoyer gegen die milliardenfache Tiertötung, wie sie auch bemerkenswerten Gleichmut zeigt gegen die Menschentötungen in unserer Welt, ob nach Schätzungen von Fachleuten alljährlich Millionen Kinder den Hungertod sterben, ob vor sieben Jahren eine Pharma-Fabrik im Sudan, die einen Großteil der Medikamente für dieses Entwicklungsland produzierte, von den USA zerstört wurde, was indirekt vermutlich zum Tod vieler tausender Menschen führte, ob werdendes menschliches Leben, gesundes Leben millionenfach im Mutterleib getötet wird, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Gerade jetzt ging wieder eine Meldung durch den Blätterwald: ein Viertel aller Kinder im Irak sei – zwei Jahre nach der Befreiung – chronisch unterernährt, woraus zweifellos der Tod vieler Kinder folgt. Kein Aufschrei in der Öffentlichkeit.


Helle Empörung dagegen, daß Singer keinen wesentlichen Unterschied zwischen entwickel-ten Föten im Mutterleib und gerade Geborenen sieht und die gängige Übung, Kinder im Mutterleib aus bloßen Verdachtsgründen zu töten, weil sie behindert sein könnten, aufgreift und fragt, ob es nicht freundlicher wäre, das Leben eines Kindes erst und nur dann zu beenden, wenn – nach der Geburt – eine Schwerstbehinderung offenkundig ist.


Man mag mit guten Gründen das utilitaristische Gedankengebäude Singers ob insgesamt ode in einzelnen Punkten ablehnen, man mag seine These, wir tun etwas Schlechtes, wenn wir wissentlich ein unglückliches Wesen in die Welt setzen, als gefährlich bekämpfen. Uns fehlt in diesem kleinen Blättchen der Raum, die Singer’schen Argumente näher zu erörtern und wir wollen sie hier auch nicht werten. Mir persönlich steht übrigens die nachfolgend wiedergegebene – von Singer reserviert diskutierte Aussage Albert Schweitzers näher:


Wahre Philosophie muß von der unmittelbarsten und umfassendsten Tatsache des Bewußtseins ausgehen. Diese lautet: Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will.... Wie in meinem Willen zum Leben Sehnsucht ist nach dem Weiterleben und nach der geheimnisvollen Gehobenheit des Willens zum Leben, die man Lust nennt, und Angst vor der Vernichtung und der geheimnisvollen Beein-trächtigung des Willens zum Leben um mich herum, ob er sich mir gegenüber äußern kann oder ob er stumm bleibt.


Ethik besteht also darin, daß ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Damit ist das denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen gegeben. Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichtne, hemmen.


Wahrhaft ethisch ist der Mensch nur, wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgendetwas Lebendigem Schaden zu tun.... er fragt nicht, ob dieses oder jenes Leben als wertvoll Anteilnahme verdient...


Es ging uns bei der inkriminierten Notiz in der anima nicht um Singers Lehrgebäude, es ging uns um die Zensurforderung: die halten wir für unvertretbar. Wir möchten nicht so weit gehen, wie angloamerikanische Moralphilosophen 1989, die ob des damals gegen Singer hier faktisch verhängten Redeverbots den Deut-schen unbewältigte nazistische Denkweisen vorwarfen, doch tatsächlich liegt die Verbots-forderung nicht weit von nazistischen Bücherverbrennungen. Singer philosophiert über schwerwiegende Handlungen. Die, wie es jetzt praktisch geschieht, dem Ermessen von Ärzten hinter verschlossenen Türen freizustellen, wäre bedenklich. Die Probleme sind da, auch wenn wir vor ihnen die Augen verschließen.


Zu Erwin Kessler


Bleibt noch der Schweizer „Antisemit“ Kessler abzuhandeln. Wie kam er zu diesem schmückenden Beinamen. Wenn unsere Informationen richtig sind, wie folgt: Kessler wollte ursprünglich nur eine tierfreundlichere Nutztierhaltung, seine Erfahrungen mit der Viehwirtschaft und Landwirten führten ihn mit der Zeit dazu, auch Vegetarismus zu propagieren. Er machte durch publikumswirksame Aktionen, manchmal am Rande des Gesetzes, gegen tierquälerische Viehhaltungen von sich reden. Das trug ihm die Feindschaft bäuerlicher Interessenvertretungen, einschlä-giger Industrieller und auch katholischer Kreise ein, da er für klösterliche Tierhalter keine Ausnahmen zugestand.

Im Rahmen seiner intensiven Werbeaktionen verteilte er einmal auch seine VgT-Zeitschrift als Beilage im bekannten Schweizer satirischen Journal Der Nebelspalter. Das Vgt-Blatt enthielt auch einen kleinen Artikel gegen das Schächten. Das wiederum erregte den Unmut einiger Leser und veranlaßte den Nebelspalter mit voller Breitseite auf den Tierfreund zu schießen und auch auf den Vegetarismus, und zwar abseits jeglicher Sachlichkeit primitiv und unter der Gürtellinie. Auch der Israelitische Gemeinde-bund (SIG) schaltete sich ein. Kessler, nicht der Mann der klein beigibt, verschärfte seine Angriffe gegen das Schächten und sah im eskalierenden Kampfgetümmel von verschiedensten Feinden umringt – die Justiz schwang die Keule des Antirassismusgesetzes – vielleicht mehr Glaubenskämpfer als da waren.

Den fernen Beobachter erinnert die Situation ein bißchen an Michael Kohlhaas, aber nicht an Antisemitismus und Rechts-radikalität. Kessler hat deutlich und glaubhaft deklariert, daß er nicht gegen „die Juden“ sondern gegen das Schächten und dessen Befürworter und gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit kämpft.


Man könnte das Ganze als tragischkomische Schweizer Lokalposse abtun, gäbe es nicht einen auch für den Tierschutz insgesamt ernsten Hintergrund.
Das eine – wir haben das in der anima oft genug betont: Das übergroße Augenmerk auf das Schächten hindert den Blick auf einen quantitativ erheblich wichtigeren Punkt, die Mißstände beim landesüblichen „christlichen“ Schlachten.


Das andere: Es muß möglich sein, religiöse Bräuche, die dem hiesigen Humanitätsstandard widersprechen, in Frage zu stellen, ohne gleich als Religionsschänder oder Rassist an den Pranger gestellt zu werden.


Nach 1945 brachten die ersten Wahlen im sowjetisch besetzten Ungarn eine Zweidrittel-Mehrheit für die antikommunistische Kleinlandwirte-Partei. Die faktischen kommunistischen Machthaber reduzierten die Mehrheit Scheibchen für Scheibchen nach der bekannten Salami-Taktik, der Abgeordnete sei ein Faschist, jener ein Krimineller usw., bis sie ihre Volksdemokratie, die kommunistische Diktatur hatten. Wir sollten es unter den Tier-schützern nicht so weit kommen lassen.


Mitunter kommt mir fast der Verdacht, manche agieren aus Gründen die mit Religion wenig zu tun haben (vgl. Norman Finkelstein, Die Holocaustindustrie) nach dem Motto, wenn wir keine Antisemiten haben, machen wir uns welche. Und das wäre gefährlich, denn damit könnten sie echten Antisemitismus bewirken


Erwin Lauppert



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